Über Lin-Chi
Lin-Chi war ein buddhistischer Mönch im China des 9. Jahrhunderts. Sein Wissensdurst und seine Neugier bezüglich des Weges der Befreiung konnte durch ein reines Studium der buddhistischen Schriften nicht befriedigt werden konnte. Eines Tages soll er daher symbolisch alle seine Bücher verbrannt haben, um sich dann auf die Reise nach Süden zum Kloster seines Meisters Huang-Po zu begeben.
Sein Meister Huang-Po bediente sich des so genannten unmittelbaren, geistigen Überlieferungsweges jenseits von Schriften. Dabei ging es nicht um mystischen Hokuspokus, sondern darum, den festgefahrenen Geist des Schülers durch gezielte, zum Teil absurd anmutende Fragen und Gesten zu einer Art Kurzschluss zu bringen. Erst dann, wenn die Festplatte eines Computers vollständig runtergefahren ist, kann man einen Neustart beginnen. Im buddhistischen Kontext ausgedrückt können erst dann neue Einsichten oder Erleuchtungserfahrungen entfalten – die Realisation der Leerheit aller Phänomene.
Lin-Chi blieb mehrere Jahre im Kloster Huang-Po’s, wo er durch seine praktizierte Achtsamkeit, Geradlinigkeit und Hingabe auffiel. Der Mönchsvorsteher wollte daher, dass sein Meister den Schüler Lin-Chi wahrnahm und überredete ihn, Huang-Po die Frage „Was ist das fundamentale Prinzip des Buddhismus" zu stellen. Lin-Chi fragte dreimal und Huang-Po beantwortete die Frage jedesmal mit Schlägen seines Stockes. Der Schüler konnte mit dieser „Antwort" nichts anfangen und beschloss daraufhin den Meister und die Gemeinschaft zu verlassen. Er bat Huang-Po um die Erlaubnis, als Wandermönch fortan im weltlichen Umfeld die Wahrheit suchen zu dürfen. Doch Huang-Po schickte ihn zunächst zu Meister Ta Yu’s Kloster. Dort realisierte er, dass er die Wahrheit immer außerhalb seines Selbst gesucht hatte. Seine bisherige Wahrnehmung buddhistischer Lehren war dualistischer Natur, fein säuberlich in seinem Geist abgespeichert, getrennt von seinem wahren Selbst. Durch Meister Ya Tu erfuhr er das Wesen der Leerheit von Gedanken, Worten und philosophischen Ausführungen. Er wurde erleuchtet. Darauf hin verstand Lin-Chi, dass Huang-Po’s Stockschläge lediglich auf die seinem eigenen Wesen innewohnende Wahrheit hingewiesen hatten und dass seine Frage nach den Grundprinzipien des Buddhismus aus der Täuschung der Getrenntheit heraus entstanden war.
Lin-Chi kehrte daraufhin zu Huang-Po’s Kloster zurück, um seine Lehrzeit fortzusetzen. Später gründete er sein eigenes Kloster und legte damit den Grundstein für eine der lebendigsten und bekanntesten Zen-Traditionen Asiens, die sich nun auch zunehmend im Westen etablieren konnte.