Empfehlungen für das Jahr 2020

von Thay

Das Jahr 2020 ist in der chinesischen Tradition das Jahr der Ratte. Die Ratte ist bekannt dafür, dass sie unter allen Umständen überlebt. Wer schon einmal eine Ratte zuhause hatte, weiß, WIE schlau diese Tiere sind, wie sie unter allen möglichen Bedingungen leben und überleben. Übertragen auf dieses Jahr bedeutet das, dass wir unseren Verstand einsetzen sollen, dass wir aktiv werden und uns auf jeden Fall für das Leben entscheiden. Wenn wir zu sehr abwarten, dass das Leben uns die passenden Optionen anbietet, dann werden wir von anderen Menschen, die mit ihrem Verstand arbeiten, beherrscht und kontrolliert und geführt. Deshalb ist es wichtig, dass wir in diesem Jahr aktiv werden.

Das Jahr 2020 hat für uns Asiaten nicht sehr gut begonnen. Richten wir den Ausblick nach Asien, erfahren wir, dass dort ein neuer Virus ausgebrochen ist, der den Menschen Angst und Schrecken einjagt. Im Moment wird in China eine Großstadt mit elf Millionen Menschen abgegrenzt, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden und das Ausweiten einer Epidemie zu einer Pandemie zu verhindern. Diese Maßnahmen betreffen die Millionenstadt Wuhan, wo sich auch mehrere deutsche Großfirmen befinden. Aus den Medien erfahren wir, dass der Virus in China schon viele Todesfälle verursachte, das nahegelegene Vietnam erreichte, und bereits ins europäische Ausland gebracht wurde. Viele Forscher weltweit bemühen sich, die Lebensbedingungen des Virus und Gegenmaßnahmen zu erforschen.

Im Buddhismus wird die Gier mit so einem Virus verglichen, den jeder in sich trägt. Wenn wir mit unserem Leben nicht achtsam umgehen und uns im Fluss der Gier bewegen, dann werden solche Giftstoffe sich sehr schnell ausbreiten.

Das Jahr 2020 hat für uns mit negativen Schlagzeilen begonnen. Deshalb ist es ganz wichtig danach zu schauen: wofür leben wir und wonach streben wir. Alle streben danach, glücklich zu sein.

1. Der Buddha sagt, um glücklich zu sein, brauchst du einen Geist, ein Herz, das geöffnet ist, und die Bereitschaft, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Ebenso auch die Bereitschaft, die Vergangenheit zurück- und loszulassen. Meistens halten wir an unseren Schmerzerinnerungen und unseren Wunden fest. Wenn wir nicht bereit sind, die alten Schmerzen loszulassen – viel mehr noch, wenn wir nicht bereit sind, etwas Neues aufzunehmen, dann bleiben wir auf der Stelle und rotieren in unserer eigenen Weise.

Das 2. was der Buddha sagt, ist, deine eigene Begrenzung kennen zu lernen. Viele Träume zu haben, ist schön. Viele Wünsche zu haben, ist gut. Aber: wo ist deine eigene Begrenzung?

Wenn du dich nicht kennst und viele Träume hast, dann wirst du ständig enttäuscht sein.

Ein junger Mann kam zu mir und sagte: „Ich bin neu nach Deutschland gekommen. Ich wünsche mir, dass ich Deutsch lerne, erfolgreich werde, ein Diplom bekomme, viel Geld verdiene, mir ein Haus kaufe.“ Ich fragte ihn: „Was hast du bis jetzt dafür investiert?“ Der junge Mann antwortete: „Ich bin gut talentiert, aber meine Eltern haben mir nicht die Möglichkeiten gegeben. Die deutsche Sprache ist sehr schwierig. Finanziell bin ich begrenzt.“ Er nannte SO viele Bedingungen, warum er bis jetzt nichts zuende gebracht hat. Für mich ist ganz klar, dass dieser junge Mensch seine Grenzen nicht kennt und nur nach seinen Wünschen und Träumen lebt. Solange dies der Fall ist, wird er immer enttäuscht sein und seinen Enttäuschungen begegnen.

Das 3. was der Buddha sagt, ist, um dein Glück zu erzeugen, solltest du auch lernen, dass du die Möglichkeit hast, jederzeit neu anzufangen, egal, wie du bist, egal, wo du stehst und in welcher Situation du bist. Viele Vietnamesen aus der älteren Generation haben ihr Heimatland verlassen und haben wirklich neu angefangen aus dem Nichts. Trotzdem haben sie es geschafft. Es gibt viele Familien in Frankfurt, die es aus dem Nichts mit ihrem eigenen Fleiss geschafft hat. Aber ich kenne auch viele Paare, die ein unglückliches Eheleben geführt haben, geweint und gelitten haben, die sich nicht trauten, neu anzufangen, weil sie sagen: „…die Kinder…oder die Umstände …“ DU musst dich aber für DEIN eigenes Leben entscheiden. Denn in jedem Augenblick ist eine neue Möglichkeit, eine neue Chance für dich, wenn du bereit bist und den Mut zu leben hast und zu sagen: „Ich möchte mich für meine Zukunft, die vielleicht noch 20 bis 40 Jahre dauert, und für mein Glück entscheiden.“ Es ist ganz wichtig, das du sagst: „Ich möchte mich (immer wieder) neu für mein Glück entscheiden,“ egal, in welcher Situation du bist.

4.Der  Buddha sagt: „Um glücklich zu sein, schlaf nicht so viel.“ Einige junge Leute schlafen 10 – 12 Stunden - also die Hälfte ihrer Lebenseit verschlafen sie. Je mehr wir schlafen, desto mehr Trägheit kommt in uns auf. Wenn du zu viel schläfst, gewöhnst du dich an die Passivität. Durch die Passivität kommen wir in eine Depression. Es ist nötig, in diesem Punkt die Genügsamkeit zu beobachten und die Genügsamkeit über unsere eigene Gier zu kontrollieren. Durch eine kürzere Schlafenszeit gewinnen wir viel mehr Zeit für uns und können daraus viel mehr schöpfen und lernen.

Das 5., was Buddha uns lehrte, ist keine Kritik zu üben, besonders nicht an sich selbst. Wenn du glücklich werden willst, dann sollst du dich nicht jeden Tag, nicht jede Minute kritisieren. Je mehr Kritik du im Innern erzeugst, desto mehr Kritik übst du auch nach außen. Und je mehr Kritik wir üben, desto unzufriedener werden wir. Als ich in Vietnam war, habe ich erlebt, wie aus einer kleinen Kritik eine Gewaltexplosion wurde. Es war mitten in Saigon, wo wir uns in ein Café gesetzt hatten, um auszuruhen. Ein Paar kam vorbei. Der Mann dieses Paares pöbelte andere Männer an: „Du hast meine Freundin schief angeschaut. Hast du ein Problem mit ihr?“ Ein junger Mann, der dort saß und Kaffee trank, fühlte sich gestört. Es kam zu einem Wortwechsel, der schnell in einen Kampf überging. Viele Menschen tragen den Krieg in sich, weil sie sich selber unterdrücken. Sie unterdrücken ihre Wut, ihre Kritik – und dann braucht es nur eine minimale Gelegenheit, um eine Explosion herbei zu führen. Darum ist es ganz wichtig, nicht nur nicht zu kritisieren, sondern liebevoll zu sein, aber auch eine liebevolle Anrede für sich selbst zu pflegen.

Wie der ZENmeister Thich Nhat Hanh uns lehrte, im Selbstgespräch mit uns zu sagen – wenn ich z.B. mit mir selbst rede, „Lieber Thay…“ – oder wenn Ingmut mit Ingmut redet „Liebe Ingmut…“ Daß wir zuerst einmal anfangen, uns selbst liebevoll anzusprechen. Aber auch, wenn wir dann nach außen gehen, ist es wichtig, diese liebevolle Anrede zu gebrauchen. „Liebe Frau…lieber Mann… liebes Kind…“ Je mehr wir diesen liebevollen Aspekt praktizieren, bewässern wir auch unser Herz mit diesem glücklichen Aspekt. Damit müssen wir zuerst einmal bei uns anfangen, um glücklich zu sein. Zusätzlich zu der kosmetischen Pflege geben wir uns diese liebevolle Pflege. Jeden Tag rei ben wir sie wie Gesichtscreme auf unser Herz, bis wir das Gefühl haben: es tut mir gut, und ich trainiere mein Glück in meinem Herz.

Das 6. was der Buddha sagt ist: „Vergleiche dich nicht mit anderen, denn du bist einmalig. Von dir gibt es keinen Abdruck und keine Kopie. Warum? Du und dein Karma – das kann keiner austauschen. Es gibt auch niemanden, der es für dich mittragen kann. Du bist SO einzigartig aus deinen vielen Wiedergeburten hervor gegangen. Deshalb sollst du dich nicht vergleichen.“ Mit wem vergleichen wir uns am meisten? Meistens nur mit Menschen, die besser sind als wir.

Je mehr du dich vergleichst, desto unglücklicher und unzufrieden wirst du mit dir. Es gibt ein Volk, das sehr erfolgreich ist. Diesem Volk entstammen 40% der gesammten Nobelpreisträger. Das sind die Juden. Sie haben eine Besonderheit: für 2000 Jahre haben sie ihr Land verloren. Trotzdem haben sie ihre Kultur bewahrt und ihren Platz behauptet. Sie haben gelernt, zusammen zu halten, und sich nicht zu kritisieren und nicht zu bekämpfen. Der Zusammenhalt ist für sie SO wichtig, dass sie über mehr als 2000 Jahre ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Religion bewahren konnten. Es ist für sie wichtig, Lob zu pflegen. An den Nobelpreisträgern fällt auf, dass es Menschen sind, die in die Zukunft schauen, das Beste für die Menschheit wollen, weil sie in sich den positiven Impuls tragen.

Wir Vietnamesen sind aus unserem Land geflohen. In dem Land, wo wir Zuflucht genommen haben und nun als Flüchtlinge leben, suchen wir, unseren Dank wieder zurück zu geben. Viele von uns sind auch „etwas geworden“, und KÖNNEN den Dank wieder zurück geben. Als Beispiel führe ich Angela Merkel an: Jeden Vortrag, den sie hält, hat ein Vietnamese vorbereitet. Der junge Mann ist 30 Jahre alt, und seine Mutter ist Miglied unserer vietnamesischen, buddhistischen Gemeinde hier in Frankfurt.